POR PRIMERA VEZ

ZUM ERSTEN MAL

Octavio Cortázar, Cuba 1967, 10 Min. Dokumentarfilm, s/w 35 mm


Inhalt:

"Welche Faszination das Kino auf Menschen hat, die mit den optischen Medien nicht vertraut sind, hat Octavio Cortázar 1967 in dem sehr einfühlsamen aufgenommenen Kurzfilm POR PIMERA VEZ (ZUM ERSTEN MAL) gezeigt. Als ein Kinomobil in ein Dorf kommt, sehen Kinder mit leuchtenden Augen ihren ersten Film: Chaplins MODERN TIMES."

Wilhlem Roth: Der Dokumentarfilm seit 1960, München, Luzern 1982, S.29


Interview mit Octavio Cortázar

Film und Fernsehen: "Welche Erfahrungen machten Sie damals mit dem Medium Film? Ich erinnere mich, daß 1968 in Leipzig ihr Film POR PRIMERA VEZ (ZUM ERSTEN MAL) mit einer Goldenen Taube ausgezeichnet worden ist. Er zeigt, wie Landfilmwagen zum ersten Mal in eine entlegene Ortschaft in den Bergen kommt und dort einen Film Chaplins vorstellt. Es war ein großes Erlebnis für die Dorfbevölkerung. Was hat Sie bewogen dieses Thema zu wählen?"

Octavio Cortázar: "Nun, dieser Film entstand ... aber ich ich muß hier weiter ausholen: im Jahr 1963 ging ich zum Studium nach Prag, an die Fakultät für Film der Karls-Universität. Ich habe dort von 1963 bis 1967 Regie studiert...

Doch hat mir dieses Studium kaum neuere Erkenntnisse über den Film vermitteln können, denn ich hatte in den Jahren von 1959 bis 1963 nahezu alles, was es beim Film gibt, gemacht. Ich war Produktionsleiter gewesen, hatte als Regieassistent gearbeitet, eine Abteilung geleitet, hatte künstlerisch gearbeitet, Filme montiert. Alles, was dem Studenten während der Ausbildung beigebracht wird, hatte ich schon in der Praxis gelernt.

Was mir die Universität, was mir Europa jedoch gab, war die Distanz. Ich konnte mich von all den Diskussionen über die Form des Films freimachen und entdeckte, daß der Erfolg unserer Filme in der Einfachheit lag, in der Art und Weise, wie wir uns mit einem Publikum zu verständigen wußten, das nicht auf lange kulturelle Traditionen zurückblicken konnte, und ich begriff, daß es notwendig war, eine These, die Präsident Dorticos einmal aufgestellt hatte, in der Praxis zu verwirklichen: daß man zum Volk nicht herabsteigt, sondern daß man zum Volk hinaufsteigen muß ...

Ich war ein guter Student, war wirklich fleißig - habe vor allem viele Imitationen gemacht. Ich machte Filme in der Art Antonionis. in der Art Bergmans, Viscontis ... Als ich von der Entfremdung völlig geheilt nach Kuba zurückkam, sagte ich mir: Du mußt eine andere Art von Filmen machen, mußt die ursprüngliche Ausdrucksweise des Volkes suchen, die Sprache vereinfachen.

Darum bin ich nach der Heimkehr in den abgelegensten Ort des Landes gegangen, um einen Dokumentarfilm über unsere Realität, über einen bestimmten Aspekt unserer Wirklichkeit zu drehen. In Kuba gab es damals noch Menschen, die nie einen Film gesehen hatten. Es waren nur noch wenige, weil man seit 1961 mobile Kinos einsetzte, die den Film, also die Kultur in alle Gegenden des Landes brachten, aber noch gab es Dörfer, in denen noch nie eine Film gezeigt worden war. In einem solchen Dorf habe ich diesen Film POR PRIMERA VEZ gedreht, der ein Dokument über unsere kulturelle Identität in jener Zeit ist. Zu den Charakteristika der Unterentwicklung gehört es unter anderem, daß es in einem solchen Land Menschen gibt, die noch niemals einen Film gesehen haben, noch nie der Kultur näherkommen konnten, weil sie keine Gelegenheit dazu hatten.

Zunächst haben viele der kubanischen Filmemacher POR PRIMERA VEZ nicht recht verstanden. Sie sahen in ihm einen nicht-perfekten Film, weil er nicht erkennen läßt, daß ich vier jahrelang an einer Universität Regie studiert hatte ... Warum ein nichtperfekter Film? Weil das einzig Akademische an ihm in seiner dramatischen Struktur besteht: Es gibt darin einen Prolog, die Exposition, die Peripetie, eine Auflösung und einen Epilog. Was den Aufbau betrifft, er ist also ganz akademisch. Aber die filmische Form, die Kameraführung sind nicht perfekt. Alles wurde mit einem 50 mm Objektiv gedreht, und manchmal sind die Bilder oben abgeschnitten; die Bauern sitzen beinahe statisch vor der Kamera und die Sprache ist sehr einfach, ist simpel. Aus all diesen Gründen haben meine Kollegen im ICAIC den Film zunächst nicht sonderlich geschätzt. Erst als der Film 1968 bei ausländischen Besuchern Interesse fand, begannen sie, ihn mit anderen Augen anzusehen. Außerdem war er auch beim kubanischen Publikum ziemlich erfolgreich - kurz man begann allmählich, den Film zu respektieren und ihn und mich zu begreifen."

Octavio Cortázar: Hinaufsteigen zum Volk. In: Film und Fernsehen Nr. 5 1979, S. 36



last update 19.1.2016

Graphik: Uwe Krupka